Oft liegt die Diagnose Rechenschwäche oder LRS vor, aber wie geht es dann weiter?  Bescheid zu wissen, welche Unterstützung Ihr Kind bekommen kann, ist enorm wichtig, denn viele Eltern sind sich z.B. nicht bewusst, dass der Nachteilsausgleich nicht nach der 4. Klasse aufhört. Ein individueller und wirksamer Nachteilsausgleich ist in jeder Klassenstufe und auch in den Abschlussprüfungen möglich.
Wichtige Hilfestellungen und Tipps habe ich in diesem Blog-Artikel zusammengefasst. Ich werde insbesondere die Regelungen in Baden-Württemberg beschreiben, weil ich hier am meisten Erfahrung habe. Es sind Anregungen und Empfehlungen aus meiner täglichen Arbeit mit und in den Schulen. Eine Garantie hat man leider nirgendwo, da es immer auf die Kooperation der jeweiligen Schule ankommt. Wichtig ist es, zu wissen, was möglich ist und wo ich Hilfe bekomme.

Übersicht LRS Erlasse in Deutschland

Eine sehr gute Übersicht über die LRS-Erlasse in den jeweiligen Bundesländern findet man bei Legakids.
Die Regelungen für Schwierigkeiten beim Rechnen lernen sind teilweise auch aufgeführt.

Was ist ein Nachteilsausgleich?

Ein Nachteilsausgleich stellt keinen Vorteil dar, wie fälschlicherweise oft angenommen. Ziel des Nachteilausgleichs ist es, den Schüler mit seinen Schwierigkeiten beim Lesen/Schreiben und Rechnen so zu unterstützen und zu bewerten, dass er trotz seiner Beeinträchtigung entsprechende Leistungen erbringen kann. Der Nachteilsausgleich beinhaltet Maßnahmen wie z. B. Zeitzuschlag, technische Hilfen oder eine Änderung der Prüfungsinhalte (auf gleichem Niveau wie die anderen Schüler) bei gleichen Anforderungen der Leistungen.

In der Verwaltungsvorschrift „Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf und Behinderungen“ vom 22.08.2008 vom Ministerium für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg, wird der Nachteilsausgleich folgendermaßen beschrieben:

Der Nachteilsausgleich für Schüler mit besonderem Förderbedarf oder für behinderte Schüler lässt daher das Anforderungsprofil unberührt und bezieht sich auf Hilfen, mit denen die Schüler in die Lage versetzt werden, diesem zu entsprechen. Die Art und Weise solcher Hilfen hängt von den Umständen des Einzelfalles ab.

Hat man einen (rechtlichen) Anspruch?

„Niemand darf wegen seines Geschlechtes … niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Findet man im Grundgesetz Artikel 3 Absatz 3.
Ja, ein Nachteilsausgleich ist ein Recht von Schülern, der bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzung zu gewähren ist.

Ein Nachteilsausgleich ist in allen Klassenstufen, in Abschlussklassen und auch Prüfungen möglich. Maßnahmen des Nachteilsausgleichs werden nicht im Zeugnis vermerkt.

Hinweis: Wenn aber die Rechtschreibung zurückhaltend gewichtet wird oder in bestimmten Fächern nicht gewertet wird, dann wird dies im Zeugnis bemerkt (in Abschlussklassen und Prüfungen ist das nicht mehr möglich, jedoch zu jeder Zeit ein Nachteilsausgleich).

5 Tipps für einen wirksamen und individuellen Nachteilsausgleich

 

individueller Nachteilsausgleich

Tipp 1 Antrag auf Nachteilsausgleich lohnt sich!

Ich empfehle Eltern aktiv auf den Klassenlehrer bzw. jeweiligen Fachlehrer zuzugehen und bei Schwierigkeiten im Rechnen, Lesen und Schreibenlernen nach einem Nachteilsausgleich zu fragen bzw. einen Antrag (formlos) zu stellen.

Tipp 2: Kooperation mit der diagnostizierenden Stelle

Wenn Sie gerade dabei sind, eine Stellungnahme zu einer LRS oder Rechenschwäche in die Wege zu leiten, empfehle ich Ihnen, die diagnostizierende Stelle zu bitten, dass genaue Angaben gemacht werden, wie ein Nachteilsausgleich auszusehen hat. Wenn sich diese Informationen nicht auf der Stellungnahme befinden, kann dies oft nachgereicht werden. Einige Diagnostiker unterstützen sehr gerne. Die Schule erhält wertvolle Tipps, die beispielsweise als Anregung für den Nachteilsausgleich genutzt werden können. Die Schulen, mit denen ich zusammenarbeite, sind dankbar über diese Hinweise.

Tipp 3: Individueller und wirksamer Nachteilsausgleich

Die Betonung liegt auf individuell, denn was für einen Schüler sinnvoll sein mag, ist für den anderen nicht hilfreich und damit auch nicht wirksam. Um gleich ein Beispiel zu nennen. Oft wird angeboten, dass der Schüler mehr Zeit bekommt. Es gibt jedoch Schüler, die wissen mit mehr Zeit in der Mathe- oder Deutscharbeit nichts anzufangen. Für sie wäre es regelrecht eine Bestrafung noch länger als die anderen Schüler vor Aufgaben zu sitzen, sie die nicht verstehen, während die anderen schon in die Pause dürfen.
Andere hingegen brauchen das Extra an Zeit und sind dankbar darüber. Es sollte daher immer eine individuelle Entscheidung sein, welcher Nachteilsausgleich gewährt wird, damit er demjenigen Schüler wirklich etwas bringt.

Tipp 4: Schriftlich formulieren

Der Nachteilsausgleich wird „von der Klassenkonferenz bzw. Jahrgangsstufenkonferenz unter Vorsitz des Schulleiters“ (siehe Verwaltungsvorschrift, VwV) beschlossen. Manchmal wird jedoch die schriftliche Form vergessen oder für nicht nötig gehalten. In den weiterführenden Schulen empfehle ich immer einen schriftlichen Nachteilsausgleich, damit auch Vertretungslehrer oder bei einem Lehrerwechsel die Informationen vorliegen. Es ist wichtig, dass jeder Fachlehrer die Informationen zum Nachteilsausgleich kennt.

In den Grundschulen erlebe ich unterschiedliche Vorgehensweisen, meistens hat der Schüler einen Klassenlehrer über 2 Jahre und nur wenige zusätzliche Fachlehrer, eine interne Absprache ist leichter möglich. Trotzdem empfehle ich die schriftliche Form, um Missverständnisse später zu vermeiden und den NTA transparent für alle Beteiligten zu kommunizieren. Hier gibt es einen Vordruck vom Schulamt Tübingen ((Konferenzbeschluss zum Nachteilsausgleich)

Tipp 5: Nachteilsausgleich und individuelle Förderung

Ideal wäre eine innerschulische Förderung, denn laut Verwaltungsvorschrift (VwV) ist es Aufgabe der Schule „eine fortlaufende Beobachtung der Lernentwicklung, kontinuierliche Lernstandsdiagnosen, Elternberatung, ggf. die Erstellung von Förderplänen und die Durchführung von Fördermaßnahmen“ durchzuführen.
Die Realität sieht oft anders aus.  Eltern bleibt nur die externe Lerntherapie, die in vielen Fällen privat gezahlt werden muss.
Ein Nachteilsausgleich nimmt erstmal den Druck heraus und entlastet den Schüler für den Moment. Um aber Fortschritte in seiner persönlichen Entwicklung zu machen, ist eine individuelle Förderung, z.B. eine externe Lerntherapie zusätzlich zum Nachteilsausgleich zu empfehlen.

Wie kann ein individueller Nachteilsausgleich aussehen?

Folgende Möglichkeiten gibt es für einen Nachteilsausgleich. Ich zitiere hier gerne die VwV:

„Daneben sind auch besondere, nur auf einzelne Schüler bezogene Maßnahmen des Nachteilsausgleichs möglich, insbesondere durch eine Anpassung der Arbeitszeit oder durch die Nutzung von besonderen technischen oder didaktisch- methodischen Hilfen“

Nutzung von (technischen) Hilfen

– PC/Laptop als Schreibhilfe, um längere Texte auf dem PC zu schreiben
– Lesehilfen: Lesepfeil, Leseschablone
– Angepasste Arbeitsblätter, ggf. größer kopiert, spezielle Schriften, größere Skizzen oder geometrische Figuren/Tabellen
– Lesestift mit Sprachausgabe, um sich Texte vorlesen zu lassen
– Wörterbücher
– Zusätzliches Anschauungsmaterial: Einmaleins Tabellen, Dienes Material, Hundertertafel
– Taschenrechner

Didaktisch methodische Hilfen

– Mehr Bearbeitungszeit, sinnvoll ist ein ruhiger separater Raum, damit sich der Schüler konzentrieren kann
– Lückentext bei Diktaten (anstelle des ganzen Diktats)
– Differenzierte Hausaufgaben
– Verwendung von Merkheften, Regelheften, Strategiekärtchen (erarbeitet mit der Lehrkraft)
– Schülerpatenschaft: Sitznachbar, der unterstützen kann (mit welchem der Schüler gut klarkommt)
– Bereitstellen von zusätzlichen Lern- und Anschauungsmitteln
– Größere Kästchen für geometrische Arbeiten oder Tabellen, Skizzen
– Bewerten von Teilschritten/Teilergebnissen
– Besprechen der Aufgabenstellungen vor der Arbeit, ggf. Darstellung der Schwierigkeitsgrade, leichte Aufgaben zuerst
– Anstelle einer Klassenarbeit darf der Schüler eine Präsentation vor der Klasse halten
– Stärkere Gewichtung von mündlichen Leistungen: nur sinnvoll, wenn der Schüler sehr gerne mündlich mitarbeitet
für die ruhigeren ist dieser Nachteilausgleich weniger geeignet

Ein Perspektivwechsel – für den Schüler da sein

Ich persönlich erlebe viele engagierte Lehrer, die sich in die Situation dieser Kinder hineinversetzen können. Sie wissen, dass der Schüler möglicherweise Angst vor der schriftlichen Arbeit hat, sich unsicher fühlt und positive Bestärkung benötigt. Diese Lehrer gehen während der Deutsch- oder Mathearbeit aktiv auf den Schüler zu, schauen ihm kurz über die Schulter, um zu zeigen. Ich bin für dich da! Worte wie „Gut so, weiter so“ können den Schüler positiv bestärken und ermutigen weiterzuarbeiten.

Individueller Nachteilsausgleich in der Praxis

Zurück zum Nachteilsausgleich: Manchmal sind es die kleinen Maßnahmen, die den Schüler spüren lassen, hier bin ich wichtig, hier kann ich „ICH“ sein, meine Persönlichkeit wird wahrgenommen. Denn….

„Die Nachteilsausgleiche sind genauso kreativ und individuell wie die Schüler selbst“

… findet man z.B. auf einer Seite des Schulamtes Tübingen in Baden-Württemberg und dem stimme ich voll und ganz zu.

Genug der Theorie? Hier geht’s zu den Praxisbeispielen

Ich habe aus verschiedenen Klassenstufen/Schulformen Praxisbeispiele anonymisiert gesammelt. Diese Beispiele zeigen auf, was in der Praxis möglich ist und wie ein individueller Nachteilsausgleich gestaltet werden kann (wird momentan überarbeitet)

Praxisbeispiele

 

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Quellen

http://www.legasthenie-lvl-bw.de/
https://www.legakids.net/eltern-lehrer/hilfe-vor-ort/lrs-erlasse-der-laender/
http://www.landesrecht-bw.de/
Maßnahmen des Nachteilsausgleichs allgemein.pdf (schulamt-bw.de)